50 Städte – 50 Spuren Text

Klaudia Dietewich Künstlerin Ausstellungsansicht01

Mayors for Peace

„Mayors for Peace“ wurde 1982 vom Bürgermeister von Hiroshima, Japan, gegründet und 1991 als Nichtregierungsorganisation (NRO) eingetragen. Die Mitgliedsstädte setzen sich für die Verhinderung der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen ein, indem sie Aktivitäten und Kampagnen durchführen und schließlich deren vollständige Abschaffung fordern. Mehr als 8.200 Städte und Gemeinden in über 166 Ländern gehören dem Netzwerk an.

 

Städte sind keine Ziele

Dies ist die Hauptpriorität von Mayors for Peace. Städte sind die Anker, die Garanten von Kultur und Zivilisation. Wer Städte zerstört, zerstört ihre Kultur und löscht das historische Gedächtnis mit allen Spuren menschlicher Erfahrung aus.

 

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Hannover

Mayors for Peace Lead City Deutschland

Hannover hat dieses Projekt aktiv unterstützt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges vor 78 Jahren war auch Hannover eine zerstörte Stadt. Jedes Jahr am 8. Mai, dem Tag der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft und des Kriegsendes in Europa, erinnert die Stadtgesellschaft an das Grauen des Krieges und mahnt zum Frieden. „Als Partnerstadt Hiroshimas stehen wir in einer besonderen Friedensverantwortung. Daher setzt sich Hannover im weltweiten Städtebündnis Mayors for Peace unnachgiebig für die Abschaffung der Nuklearwaffen ein und unterstützt den Atomwaffenverbotsvertrag. Mehr denn je ist es zurzeit die Rolle der Städte, die Ideale der UN mit Leben zu füllen“, so Oberbürgermeister Belit Onay.

Hannover als federführende Stadt der deutschen Mayors for Peace hat das Projekt auf Bundes- und Führungskräftekonferenzen sowie auf der Generalkonferenz der Mayors for Peace in Nagasaki als Angebot an alle deutschen, europäischen und weltweiten Mayors for Peace-Städte vorgestellt. Hannover übernahm die Gesamtkoordination insbesondere für die Gewinnung von Ausstellungsstädten und erstellte pädagogische Materialien, um die Verbreitung der Projektinhalte in der Arbeit mit Schüler*innen und Student*innen zu unterstützen. 

Das Kunst- und Friedensprojekt „50 Städte – 50 Spuren“ wurde getragen von der Kooperation zwischen Hannover als Lead City der deutschen Mayors for Peace, dem 50 Cities – 50 Traces Projektbüro in Stuttgart und der Friedenswerkstatt Mutlangen e. V..

 

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Logo Pressehütte WEB

Friedenswerkstatt Mutlangen e. V.

Die Friedenswerkstatt Mutlangen e.V. arbeitet für eine friedlichere und gerechtere Welt. Am historischen Ort der Friedensbewegung und ehemaligen Standort von Atomraketen zeigt sie Wege eines erfolgreichen gewaltfreien Widerstandes auf. Die Pressehütte diente der Friedensbewegung als Anlaufstelle für ihre Aktionen vor Ort und wurde 1984 vom Verein Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen erworben. Durch die Mithilfe von jungen Menschen in internationalen Workcamps entstand ein kleines Seminarhaus und wurden Büroräume für Friedensgruppen geschaffen. Die Pressehütte ist auch ein „Lebendiges Museum“, in dem das erfolgreiche Engagement gegen die atomare Bedrohung erlebbar wird.

 

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Grußwort

Belit Onay

Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover

Seit dem 24. Februar 2022 ist die Welt wie wir sie zuvor kannten Vergangenheit. Mit dem völkerrechtswidrigen russischen Überfall auf die Ukraine ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt, die bisherige europä-ische Friedens- und Sicherheitsordnung zerstört. Nukleare Drohgebärden Russlands begleiten diesen brutalen Krieg. Zum ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs veröffentlichten die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki daher einen eindrücklichen Appell. Darin heißt es: „Die Gefahr eines erneuten Hiroshima oder Nagasaki rückt heute bedrohlich nahe. Als Vertreter des Netzwerks Mayors for Peace, dem Bürgermeister*innen von Kommunen – als direkte Vertretung der Bürger*innen – sowie die beiden Bürgermeister der von Atombomben getroffenen Städte angehören, erheben wir als Zeichen des Protests laut unsere Stimmen und erklären Folgendes: Nuklearwaffen dürfen niemals zum Einsatz kommen. Die einzige Garantie zum Schutz der Menschheit und des Planeten vor der Bedrohung durch Nuklearwaffen ist die vollständige Abschaffung dieser Waffen.“ (Quelle: www.mayorsforpeace.org)

Die Landeshauptstadt Hannover steht als Partnerstadt Hiroshimas in einer besonderen Friedensverantwortung. Seit 1983 ist die Stadt Mitglied im weltweit mehr als 8.200 Städte umfassenden Bündnis der Mayors for Peace. In Deutschland haben sich bisher 850 Städte und Gemeinden dem Netzwerk angeschlossen. Hannover nimmt die Rolle einer Vizepräsidentin, Exekutivstadt und Lead City für Deutschland in dem Bündnis wahr. Drei Aufgaben prägen das Netzwerk: Der Einsatz für die Abschaffung der Atombomben, Friedenspädagogische Angebote für die nachfolgenden Generationen, die Gestaltung eines friedlichen und nachhaltigen Zusammenlebens in den Kommunen.

 Klar ist aber auch: Städte können nur ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Abrüstung von Atomwaffen herstellen, sie können Dialogplattformen bieten und Schallverstärker ihrer Einwohner*innen und Räte sein. Im Verbund werden so aus einer Stimme tausende, und aus Weghören wird Hinhören. Mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen, internationalen Jugendbegegnungen, der Teilnahme an internationalen Konferenzen und einer intensiven Vernetzung im Rahmen des European Chapters der Mayors for Peace betreibt Hannover deshalb Lobbyarbeit für die drei Hauptthemen des Bündnisses auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Durch ihren Einsatz im Netzwerk der Mayors for Peace leisten Kommunen so einen wichtigen Beitrag innerhalb der Städtediplomatie zur Bewahrung des Friedens in der Welt.

Und dieses Engagement hat eine hohe Aktualität: Denn noch immer verfügen die Atommächte nach Schätzungen von Expert*innen über rund 12.700 Atomwaffen. Um auf eine ganz besondere Art diese weltweite nukleare Bedrohung in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen, hat die Stadt Hannover im Rahmen ihrer Friedensarbeit im Netzwerk der Mayors for Peace die Ausstellung „50 Städte – 50 Spuren / 50 Cities – 50 Traces – Eine Welt ohne Atomwaffen“ der Stuttgarter Künstlerin Klaudia Dietewich sehr gern und in vielfältiger Weise unterstützt. Die 50 Tafeln der Ausstellung stehen gleichsam für die individuelle Schönheit jeder der 50 beteiligten Städte, die mit einer fotografierten Spur, einem Fragment, einem visuellen Element, ihre Geschichte erzählen und für eine (über)lebenswerte Zukunft werben. Kriege hingegen vernichten diese Spuren, hinterlassen nichts als Zerstörung. Die Dokumentation der Schau „50 Städte – 50 Spuren“ ist daher eine nachhaltige Mahnung zum Erhalt des Friedens und zugleich ein Appell, die größte Bedrohung der Menschheit – die Atomwaffen – abzuschaffen und so die Welt vor einer unvorstellbaren humanitären Katastrophe zu bewahren.

Protest gegen das Vergessen

Das war das zentrale Anliegen von ERIC HOBSBAWM, einem der letzten Universalhistoriker, Brite, geboren 1917. 2012 sprach er darüber mit dem Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist. Hobsbawm sagte: „Ja, es ist wirklich wahr, dass die moderne Gesellschaft, die moderne Wirtschaft im Wesentlichen ohne das Gefühl für die Vergangenheit lebt. Die üblichen Problemlösungsmethoden bedenken nicht die Vergangenheit. Aber für die Menschen und für die Gesellschaft ist die Vergangenheit wichtig. Jeder Einzelne von uns ist in der Vergangenheit verwurzelt, in einer persönlichen Vergangenheit, in einer sozialen Vergangenheit – und weiß das und interessiert sich dafür. Wenn man vergisst, was in der Vergangenheit passiert ist, muss man schlicht die gleichen alten Fehler wieder und wieder begehen.“

Unter dem Titel: „50 Städte – 50 Spuren: Gegen das spurlose Verschwinden“ startete im Januar 2018 ein Staffellauf durch Deutschland, durch Europa und nach Amerika und Asien. 

„Cities are not targets“ – Städte sind keine Ziele. Das ist das Kernanliegen der Mayors for Peace. Denn Städte sind die Anker, die Garanten von Kultur und Zivilisation. 3,5 Mrd. Menschen leben heute in Städten. 2050 werden es 7 Mrd. sein. Wer Städte zerstört, vernichtet nicht nur Leben, sondern auch die Kultur und löscht die Erinnerungen aus an die Geschichte und an das, was Menschen erlebten samt allen Spuren und Hinterlassenschaften. 

Die Ausstellungen zeigten jeweils 50 wechselnde Spuren aus 50 Mayors for Peace-Mitgliedsstädten, ergänzt durch Statements von zu der Zeit amtierenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern von Städten, die zum größten Teil in den Ausstellungen vertreten waren.

„50 Städte – 50 Spuren – Eine Welt ohne Atomwaffen” war ein künstlerisches Friedensprojekt. Es ging dabei nicht darum, Kriegsspuren oder Gewalt zu zeigen. Davon sehen wir jeden Tag genug in den Nachrichten. Die Idee von 50 Städte – 50 Spuren war vielmehr, anhand der individuellen Spuren aus den Städten, anhand einer ganz eigenen Art von Portraits, auf eine andere als die gewohnte Art und Weise einen künstlerischen Blick zu werfen auf die Vielfalt, auf die Individualität und auf die Schönheit der Städte. Diese Spuren stehen symbolhaft für eine bunte, vielfältige und weltweite Bewegung für den Frieden in Städten und Gemeinden, in denen die meisten dort lebenden Menschen gerade solche mehr oder weniger unbedeutende Spuren hinterlassen, wie sie in den Ausstellungen präsentiert wurden. 

Stellt man die Frage nach dem Erinnerungswert, der in den fotografierten Spuren enthalten ist, steht die künstlerische Betrachtung im Vordergrund. Die Stuttgarter Künstlerin Klaudia Dietewich fotografiert Spuren vor allem auf Straßen und Plätzen in Städten und sie nennt diese Spuren „Wegstücke“. 

Es sind Momentaufnahmen, die kontinuierlich verblassen, die mehr oder weniger schnell wieder verschwinden, Spuren, die etwas über ihre Verursacher verraten, die Geschichten erzählen und Bilder erzeugen auch von den Orten, an denen sie gefunden wurden.

Diese Spuren wollen Aufforderung sein, die Welt mit ihren Hinterlassenschaften als Erinnerungsträger zu respektieren und zu bewahren. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen die Zerstörung unserer Städte, gegen den Einsatz von Atomwaffen und tragen so den Kerngedanken der Bewegung der Mayors for Peace in sich.

Das Interesse der Künstlerin gilt der subtilen Ästhetik von im Alltag entstandenen Relikten, die auf die eine oder andere Weise den Zustand unsrer Welt spiegeln. Wie eine Archäologin durchsucht sie urbane und industrielle Räume. Im Geflickten, Übersehenen und Vergessenen findet sie das eigentlich Schöne und die Parallele vom allmählichen Verschwinden der Motive zu unserer eigenen Existenz. 

Ihre Fundstücke sind graphische Schätze, Fragmente und Bruchstücke, die, obwohl ganz ungegenständlich, doch Erinnerungen wachrufen und Assoziationen wecken. Als „Kondensat gelebten Lebens“ stellen sie die Frage: was bleibt von uns und von der Welt, wie wir sie kennen? 

Wenn die Betrachter Gegenstände und bildliche Darstellungen zu erblicken glauben, werden die Asphalt- und Wandbilder zu Projektionsflächen der eigenen Einbildungskraft. Das macht ihren rätselhaften Zauber aus.

Dass die Ausstellungen und die Betrachtung der Bilder „zum Nachdenken über Krieg und seine Folgen anregen und ein Bewusstsein schaffen sollten, sich für Frieden, Freiheit und Demokratie einzusetzen“ war Kerngedanke des Projektes.

Dr. Raimund Menges, 2018

Eine Welt ohne Atomwaffen

Zur Eröffnung des internationalen Kunst- und Friedensprojektes „50 Städte – 50 Spuren – eine Welt ohne Atomwaffen“ in Poznań darf ich Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, herzlich begrüßen. Die Ausstellung ist ein wichtiger Baustein im Rahmen der Friedensarbeit der Landeshauptstadt Hannover. Als Stadt des Friedens, als Vizepräsidentin der Mayors for Peace, des weltweit größten kommunalen Netzwerkes für die Ächtung von Atomwaffen, und an der Seite unserer Partnerstadt und Mayors for Peace-Präsidentin Hiroshima mit weltweit mehr als 8.200 Städten aus 166 Staaten und über 1 Milliarde Einwohner*innen engagiert sich die Landeshauptstadt Hannover seit Anfang der 1980er Jahre für die Abschaffung von Nuklearwaffen und für eine friedliche Welt. Mit dieser Ausstellung nähern sich die Mayors for Peace auf eine außergewöhnliche Weise dem Thema Krieg und Zerstörung. Wir wollen irritieren, die Besucher*innen zum Hinschauen einladen und sie miteinander über das Gesehene ins Gespräch bringen. Wir wollen einen Blick auf die Spuren, die Hinterlassenschaften von uns Menschen werfen, die unweigerlich verloren sind, wenn Kriege ausbrechen oder Atomwaffen zum Einsatz kommen.

Im Jahr 2019 haben wir vielfach an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Europa vor 80 Jahren, am 1. September 1939, erinnert, der mit dem Überfall Deutschlands auf Polen begann. Dieser verbrecherische Krieg endete in Europa am 8. Mai 1945. In Asien zog er sich noch fast drei Monate länger hin. Am Schluss stand mit dem Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki eine Zeitenwende in der Geschichte der Kriegsführung und der Sicherheitspolitik. 

Während der Auseinandersetzung mit dem Thema der Ausstellung hatte ich ein Bild vor Augen, das der eine oder andere von ihnen vielleicht auch kennt: Es ist ein Foto einer Hauswand in Nagasaki, auf der die Umrisse eines von der Explosion der Atombombe verbrannten Menschen abgezeichnet wurden. Der Mensch, ob Mann oder Frau oder ein Kind – das wissen wir nicht – zerfiel zu Staub. „Fat Man“, die abgeworfene Bombe, hinterließ nur einen einzigen Schatten, sonst keine weiteren Spuren. Der Einsatz der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hat mit einem Schlag nicht nur Tausende Menschenleben vernichtet, sondern zerstörte auch binnen Sekunden alle kulturellen, historischen und persönlichen Hinterlassenschaften der Einwohner*innen der Städte. Hiroshima wurde zum Symbol all dessen, was der Mensch den Menschen antun kann. Man sollte eigentlich annehmen, dass die Menschheit aus dieser Tragödie gelernt hat und von der Produktion solch schrecklicher Waffen absieht. Doch statt auf diese Waffen zu verzichten, setzte nach dem Abwurf der Bomben ein nukleares Wettrüsten zwischen den beiden Weltmächten ein. Weitere Staaten folgten. Noch immer gibt es rund 13.000 Nuklearwaffen weltweit, wie das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) berichtet, die meisten davon im Besitz der USA und Russlands. Die nuklearen Abrüstungsbemühungen treten seit Jahren auf der Stelle und erleben seit kurzem sogar einen Rückschlag. Das Ende des INF-Vertrages, dieser für Europa so bedeutsamen Vereinbarung zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion über die Abrüstung von Mittelstreckenraketen aus dem Jahr 1987, stellt eine historische Zäsur dar.

Es gab seither nur noch einen Abrüstungsvertrag, den New-START Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty, Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen) und dieser lief in 2021 aus. Wie aber sieht eine Welt ohne Abrüstungsverträge aus? Droht eine Renaissance der Atomwaffen, die zu vermeintlich mehr Sicherheit führt? Oder kann es in einer Welt ohne Abrüstungsverträge Sicherheit tatsächlich nur ohne Nuklearwaffen geben? Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Nichtregierungsorganisation ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) hat diese Vorstellung so intensiv vorangetrieben, dass es ihr gelungen ist, einen Atomwaffenverbotsvertrag auf den Weg zu bringen. Die Vereinten Nationen haben ihn verabschiedet und seit September 2017 liegt er zur Ratifizierung aus. Doch bislang sind die Nuklearwaffenstaaten, aber auch Deutschland, dem Vertrag noch nicht beigetreten. Der Rat der Stadt Hannover hat daher an die deutsche Bundesregierung appelliert, den Atomwaffenverbotsvertrag umgehend zu unterzeichnen. Mittlerweile sind 55 deutsche Städte dem ICAN City-Appell beigetreten. Weltweit sind es über hundert Städte.Wir hoffen, dass noch viele weitere Städte folgen werden und die Regierungen zum Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag bewegen. In einer Zeit, in der ein Präsident einer Weltmacht via Twitter den Stolz auf seinen „wunderschönen“ roten Knopf verbreitet, mit dem ein Atomkrieg ausgelöst werden kann, ist es dringend notwendig, sich wieder lauter für den Erhalt des Friedens einzusetzen. Für Vertrauen, auch und vor allem in Europa, zu werben, das Gespräch zu suchen, um den Frieden zu bewahren, in einer Welt, die manchmal aus den Fugen zu geraten scheint. Wir die Mayors for Peace wollen dies tun.  

Als Erste Stadträtin einer Stadt, die im Zweiten Weltkrieg zu 90% zerstört wurde, sind mir der Erhalt der Kulturgüter und die Bestrebungen nach einer friedlichen Welt, in der die Städte keine Angriffsziele mehr sein dürfen, von besonders großer Bedeutung. Auch für die Einwohner*innen sind Städte mehr als nur eine Ansammlung aus Häusern und Straßen, es ist ein bedeutsamer Bezugspunkt für die Identitätsbildung. Und wir hinterlassen mit jedem Tag – ob bewusst oder unbewusst – Spuren. 

Diese Wegstücke, die die Künstlerin Klaudia Dietewich aufspürt und fotografiert, sind ungegenständlich, im Bild selbst ohne Hinweise auf die Stadt, in der das Foto aufgenommen wurde. Aber hinter jeder Tafel verbirgt sich eine Stadt samt ihrer Geschichte und ihrer Zukunft. Die Fotos der Ausstellung zeigen Momentaufnahmen, sorgen nicht nur für ein kurzes Innehalten, sondern sind auch wunderbar anzusehen. Kunst baut bekanntermaßen Brücken, schafft Begegnungen und Vertrauen, stärkt Verständigung und Freundschaft. Die Ausstellung wurde bereits in 12 Städten weltweit präsentiert und soll schließlich 2020 in New York am Sitz der UNO im Rahmen der nächsten Überprüfungskonferenz des bestehenden Atomwaffensperrvertrages gezeigt werden. Alle Konferenzteilnehmer*innen werden an den Fotografien vorbeigehen – und das ist gut so, denn: Die Ausstellung „50 Städte – 50 Spuren“ ist eine Mahnung gegen die Zerstörung der Städte durch Kriege. Sie ist ein beeindruckender Appell gegen den Einsatz von Atomwaffen. Und sie ist zugleich eine Aufforderung, die Welt, in der wir leben, zu respektieren und zu bewahren.

 

Sabine Tegtmeyer-Dette, Erste Stadträtin Hannover zur Eröffnung der Kunstausstellung „50 Städte – 50 Spuren: eine Welt ohne Atomwaffen“ am 17. 10. 2019, im Marschallamt der Woiwodschaft Wielkopolska Niepodległości, Poznań

Vorgefundene Spur

Stefan Renner

Die 50 mal 50 Zentimeter große fotografische Arbeit Klaudia Dietewichs aus dem Jahre 2017 wirkt zum einen wie ein tachistisches Werk, zum anderen wie eine große, dem Asphalt direkt entnommene Kachel; matt metallisch glänzt sie – ihr Bildgegenstand wirkt wie auf Eisen gebannt, das liegt auch am Bildgrund Aludibond. Fotografisch festgehalten wurde ein Asphaltabschnitt, der Risse und vegetabil anmutende Lineaturen zeigt, die auszublühen scheinen. Die Arbeit lautet auf den Titel „Geislinger Spur“. Wo genau sich diese Spur zeigt, ist nicht wichtig – es heißt irgendwo auf der Bahnhofsstraße. 

Schon dieser erste Eindruck legt die Vermutung nahe, dass die Arbeit etwas mit Fixieren, Festhalten, Archivieren und Konservieren zu tun haben könnte. Unser Blick wird mit ihr nicht auf das gelenkt, was sich weit vor uns befindet, sondern auf das, was sich vor uns zeigt, wenn wir direkt von oben auf den Gehweg sehen, und dies, während wir ihn aktiv zu benutzen scheinen. Etwas Unspektakuläres ist damit Bild geworden, das einen konkreten Bezug zu unserem Alltag hat – ganz gleich wie abstrakt sich dies ausnehmen mag. Wichtig scheint zu sein, dass die Spur aufgefunden, fotografiert, fixiert, gesichert und nun präsentiert wurde und mit ihr das, was hinter den sich zeigenden Dingen steckt. 

Ausmachen lassen sich die Oberfläche des Asphalts und die Verletzung en desselben. An beidem hängen Bedeutungen, die auf menschliches Tun verweisen. Asphalt verweist als Material auf Wege, Straßen, Plätze und somit auf das Ermöglichen von urbaner Mobilität und Aktivität. Die Risse verweisen auf aktive Benutzung, auf Leben, das hier stattgefunden hat und auf Vergehen – momenthaft und dauerhaft. Diese Spuren erzählen so betrachtet Geschichten; ihnen nachzuspüren bedeutet auch, die Sinne für sie, ihre Ästhetik und Geschichten zu sensibilisieren und Assoziationen zuzulassen. Das Sammeln und Fixieren solcher Alltagsspuren greift thematisch immer auch ihre Veränderungen und ihr Verschwinden mit auf – alles ist einem steten Wandel unterworfen.

Dass dieser urplötzlich von Menschenhand gemacht und beabsichtigt über einen hereinbrechen kann, müssen Menschen insbesondere in kriegerischen Auseinandersetzungen leidvoll erfahren. Wo Bomben fallen, Raketen abgeschossen werden, bleibt nur Schutt und Verwüstung – beides ist leider auch Ausdruck menschlichen Tuns und zieht leider wiederum Spuren nach sich – Spuren, die alle anderen menschlichen – auch die belanglosesten – tilgen und verschwinden lassen… auch eine solche im Asphalt, wie die hier präsentierte, wäre samt Untergrund wie weggewischt.

Weil die Arbeiten der Reihe, zu der diese Fotografie gehört, zum Nachdenken über solche Aspekte anzuregen vermögen, passen sie so gut zum Kunst- und Friedensprojekt: 50 Städte – 50 Spuren. Es nimmt Bezug auf den sich dieses Jahr zum 50. Mal jährenden Abschluss des Atomwaffensperrvertrags. Das Projekt verbindet auf einzigartige Weise durch eine Wanderausstellung, die an vielen Orten auf der Welt gezeigt wird, Städte, Bürger, Bürgerinnen, Bürgermeister und Bürgermeisterinnen – letztlich Menschen in der Ächtung dieser verheerenden Waffen miteinander. Aus jeder dieser Städte findet sich eine fotografisch festgehaltene alltägliche Spur, die auf menschliches Leben verweist, in der Wanderausstellung wieder – Geislingen ist ihre erste Station!

Stefan Renner, Ausstellungsleiter
Kunst- und Geschichtsverein Geislingen, 2018
Text in leicht geänderter Form erschienen am 16. 2. 2018 in der
Geislinger Zeitung

Artist‘s Statement

Klaudia Dietewich

Für mich ist die Stadt nicht das unkoordinierte Gewusel der Masse oder das Häusermeer, in dem sich der Einzelne verliert. Für mich ist die Stadt eher ein abstraktes Gebilde, in dem der Mensch seine rätselhaften repetitiven Spuren zurückgelassen hat. Das ist der Ort, an dem ich nach den Schönheiten der modernen Welt suche, nach der verwirrenden Poesie der Flecken, Kratzer, Risse und Schmierereien! Bei meinen Gängen durch die Städte in aller Welt löse ich aus vernarbten, verkleckerten, gerissenen und zerschundenen Asphaltflächen Fragmente mit der Kamera visuell heraus, die dann mit einer speziellen Technik im fotografischen Abzug auf dem Bildträger, meist AluDibond, die Oberflächenstrukturen der realen Vorlage weitgehend auf die Fotografie übertragen.

Mit meinen Fotografien versuche ich, das verschwundene und verschwindende Leben ins Bild zu bannen und mit den gefundenen Formen und Strukturen ein Bildarchiv zu erschaffen, das einen vermeintlich hinlänglich bekannten Stadtraum neu entdeckt – in Bildern, die gleichzeitig vertraut, irritierend und befremdend sind. Meine Fundstücke sind Wirklichkeitsfragmente, in Form geronnene Überreste der Kultur. Wenn Betrachter*innen Gegenstände und bildliche Darstellungen zu erblicken glauben, werden meine Asphaltbilder zu Projektionsflächen der Einbildungskraft, die für mich auch nach über 15 Jahren Arbeit an diesem Thema nichts von ihrem rätselhaften Zauber verloren haben.